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Die Nähe eines Kamels

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Es gibt immer diese Pause, und die Notwendigkeit treibt die kleinen Zirkusse dazu diese Pause als Tiershow zu bezeichnen und für zwei Euro, abzugeben bei einem älteren Herrn der mit zitternder Hand die Münzen und Scheine einsammelt und mühsam Wechselgeld erstattet, ihre wenigen Tiere vorzuzeigen. Drei richtige Pferde gibt es, eins was ganz klein und rötlich ist und zum normalen Pferd steht wie der Dackel zum Schäferhund. In ihrem Witz haben es die Zirkusleute „Fuchs“ getauft. Und dann noch zwei Kamele, die die karge Szenerie mit der ihnen eigenen Würde versehen.

Ich mochte Zirkusse früher nicht. Die DDR-Staatszirkusse waren für mich, damals, als ich Kind war, befremdlich. Ich habe mich gelangweilt. Um große Kunst würdigen zu können muss man kleine Kunst kennen und mögen.

Mönkebude ist klein, so dass hier nur ganz kleine Zirkusse Platz haben. Zirkus Hermann Renz heisst der, der jetzt hier gastiert. Mit der Mutter Renz als Ansagerin, vielleicht auch Chefin, und vorher am Crepes- und Popcornstand. Sie konnte aber keine Crepes herstellen und musste die Schwiegertochter rufen, die später Akrobtik am hängenden Seil und mit Reifen vorführte. Im Verkaufsstand stand der jüngste Sohn, 11, der auch Clown Peppino war und Teil einer Lassotruppe. Und der mit einem Teller durch die Reihen gehen musste um Geld für seine später Ausbildung zu erbetteln. In der Lassotruppe noch ein zweiter Sohn, der vorher schon Jongleur war und auch schwere Dinge auf der Kinnspitze balancierte. Der Dritte in der Lassotruppe war Vater Renz, der die Pferde und die Kamele vorführte. Eine Tochter trat noch auf, als Dressurreiterin, Seiltänzerin und Akrobatin im schwebenden Reifen. Und ein Enkel, 4 Jahre, war immer mit dabei. Wenn die einen auftraten waren die anderen die Hilfstruppe.

Im Lauf der letzten Jahre ist mir der Zirkus im Stadtrat mehrmals begegnet, man möchte die Darbietungen mit Tieren verbieten. Wir hatten dazu heftige Diskussionen und sogar eine öffentliche Veranstaltung. Bis heute bin ich unschlüssig, denn ich sehe es ähnlich wie mein Ratskollege Wirtz, der uns darauf hinwies, dass die Abneigung gegen Tiere im Zirkus nicht weit entfernt ist von der Abneigung gegen fahrendes Volk insgesamt und das doch die letzten sein sollten, die wir mit neuen Vorschriften bedrücken sollten. Über die Situation fahrender Zirkusse hier übrigens ein schöner Artikel.

Wir saßen in der ersten Reihe, die man Loge nannte. Etwas stabilere Stühle, die dritte und vierte Reie waren dann Plastestühle und danach noch zwei Reihen Bänke von Biertischgarnituren. Die erste Nummer ist die Jonglage, wir freuen uns über jeden Ball, den der blonde Sohn fängt, jeden Reifen, und bei den Keulen, die er warf, imponierte er uns sogar etwas. Das ist Künstlersolidarität, denn unser Sohn spielt gern und öffentlich Gitarre und so fühlen wir uns jedem nah, der gern und öffentlich etwas darbietet.

Das ist keine Einbahnstraße, denn kurz danach zeigt Mutter Renz auf unseren Sohn und lobt ihn in der Manege: Sie hatte ihn im Ort spielen hören. Und war beeindruckt. Künstlersolidarität. Oder zählen die Zirkusleute die Straßenmusikanten zu den Ihren, zum fahrenden Volk?

Birke Tröger kommt, knapp, mit dem Leben davon.

In der Pause jedenfalls, die Tiershow genannt wird, und wo man um zwei Euro den spärlichen Bestand näher betrachten kann, gehe ich zu den Kamelen. Und die betrachten mich, ich sie, und eines der beiden kommt ganz nah zu mir und legt seine Wange an meine, zwei mal nacheinander, bläst mir aus seiner Nasenöffnung warme Atemluft übers Gesicht und wir schmusen ein wenig.

Ich fühle mich diesen kleinen Zirkussen sehr nah!

Auf einen alten Wanderzirkus

Draußen auf der alten Distelstätte
hinterm halb versiegten Wasserlauf
rasselt seit der Früh die Wagenkette,
schlägt ein Zirkus seine Zelte auf.

Dünner Rauch steigt aus den bunten Wagen,
auf den Stricken bläht sich Zeug; im Rund
stehen schon die Pflöcke eingeschlagen,
schwarze Risse laufen durch den Grund.

Mürb schon sind die Maste und verwaschen,
rostig ist das Reck, der Flitter blind;
aus dem Sprungnetz lösen sich die Maschen,
leise knarrt die Kurbel im Gewind.
Die Scharniere scheppern, ausgefahren
sind die Schienen und die Lager leer;
dies Gerät gibt in den letzten Jahren,
kaum geschmiert, geflickt, sein Letztes her.

Alter Zirkus, der du oft die Ferne
schon durchmaßest und nun nirgends Glück
findest: unter einem schlechten Sterne
kehrst du in die große Stadt zurück,
an den Rand, um den seit Jahren nimmer
deine Kunst mit lauter Trommel warb
und für den dein Wanderglanz und Schimmer
mehr als für die kleinen Flecken starb.

Dünkst du dich, da wohlfeil in den Ohren
uns von früh bis spät das Radio liegt,
nicht mit deinem Schellenklang verloren,
gibst du dich vom Kino nicht besiegt?!
Oder schwante dir auf deiner Reise,
daß uns das entseelte Leben quält,
daß es grausam uns gebricht an Speise
und an Geld für unsre Freuden fehlt?

Glaubst du, daß im Schutz der Krüppelweiden
auf der Distelstätte hier am Rand
sich für deine Kunst, wie wir bescheiden
und nach Buntem aus, ein Platz noch fand?

Kühler wird es, der Geschmack der Schwaden
mischt sich mit dem Hauch von Tau und Spelt;
alter Zirkus, viele will ich laden
morgen unter dein gestirntes Zelt.

Theodor Kramer, 02.05.1934

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