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Ora! Ora! Ora!

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Ein guter Freund, der sich Björn Schenk nennt, bat mich heute, seine Replik zur gestern Abend gesendeten Jauch-Talkshow hier zu veröffentlichen. Aber klar doch!

 

Ora, Ora, Ora!

Wer Millionär werden darf und wer es womit bezahlen muss 

Der Abend des 23. September 2012 war ein denkwürdiger Abend im deutschen Fernsehen: Lange wurde nicht so wenig gedacht, dafür umso mehr beschworen. Und zwar zeitgleich. Während auf 3Sat der verstörende Dokumentarfilm „Die Mondverschwörung“ lief, der sich mit dem Innenleben deutscher Verschwörungstheoretiker und jenem des Erdenballs befasste ( Hitler wurde von Außerirdischen an den Südpol verbracht und lebt heute als ca. 50jähriger Mann im Inneren der Erde), konnte man bei der ARD eine Stunde mit ganz realen Verschwörern zubringen und ihnen beim Beschwören gröbster Frechheiten zuschauen, bis einem Hören und Sehen verging. Lange dauerte das nicht.

Günther Jauch hatte ins alte Gasometer eingeladen, was rein optisch des Führeres angenommenem Refugium im Erdinneren zumindest schon recht nahe kommt. „Eine Frage der Gerechtigkeit – wer kann noch in Wohlstand leben?“ hatte Jauch getitelt und sich eine erlesene, wenn auch keine sehr belesene Runde eingeladen, wenn man von Katja Kipping als Literaturwissenschaftlerin einmal absieht.

„Ora et labora!“ – „Bete und arbeite!“ ist das Motto des Benediktiner-Ordens und wenn man sich vergegenwärtigt, dass „Labora“ in der Übersetzung aus dem Lateinischen nicht nur für Arbeit, sondern auch für tätiges Leiden steht (wir „laborieren“ an einer Verletzung), dann weiß man, welche Art Arbeit hier gemeint ist. Um es vorweg zu nehmen: Genau darum ging es und man kann die Runde getrost als eine Verschwörung gegen den Sozialstaat bezeichnen – nichts anderes war es. Aber kommen wir zu zu den Einzelheiten, kommen wir zu den Verschwörern.

Der Soldat Gottes

Gewiss hätte es auch der aus Funk und Fernsehen schon sattsam bekannte Kirchenrocker und benediktinische Abtprimas Notker Wolf getan, der im Namen der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ musikalisch für eine Kürzung der Hartz IV-Sätze betet – allein: Man wollte es wohl diesmal subtiler. Vielleicht ging es auch um konfessionelle Versöhnung. Bernd Siggelkow ist der gute Freund aller armen Kinder in Deutschland und der beste Freund Gottes. Außerdem ist er ein evangelikaler Christ, dessen einzig nennenswerte Ausbildung in einem Studium der Theologie besteht, das ihm die Heilsarmee finanziert hat.Von letzterem war kaum die Rede, dafür umso mehr vom segensreiche Wirken des von Siggelkow 1995 gegründeten „Arche e.v.“, einem sozialen Projekt für Kinder und Jugendliche, welches Missionierung über die Suppenkelle betreibt. Begonnen hat Siggelkow damit in Berlin-Hellersdorf, einem Ostberliner Plattenbaugebiet, wo es günstiger Weise gleichermaßen viel zu beköstigen, wie auch zu bekehren gibt. Immer mehr Berlinerinnen und Berliner, die sich die Mieten in den alten Wohnquartieren nicht mehr leisten können, Atheisten aus Friedrichshain, wie neuerdings auch Muslime vom Wedding, landen hier und bilden ein schier unerschöpfliches Reservoir, aus dem man zwischen Essenausgabe, Hausaufgaben und Kickertisch gute Christenmenschen formen kann, die künftig bereit sind, jeden noch so mies bezahlten Job anzunehmen. Zum Beten und zum Leiden an Arbeit also. Siggelkow, der als Buchautor auch gegen die sexuelle Deformation des Prekariates anschreibt, ist der Meinung, dass man die Hartz IV-Sätze nicht erhöhen sollte – was logisch ist. Nichts muss Siggelkow mehr fürchten, als weltliche Institutionen, die sich statt seiner der Kinderarmut an- und ihm dafür missionierungsfähigen Zulauf abnehmen könnten. Bezahlt wird das Wirken von Siggelkows Projekten – inzwischen deutschlandweit am Missionieren – ausschließlich durch private Spender.

Der Wohltäter

Zum Beispiel durch Günther Jauch. Der trägt die gesamten Projekt- und Personalkosten für Siggelkows Potsdamer „Arche“. Es ist von 250.000 Euro jährlich die Rede. Er ist zwar Katholik, aber das macht nichts. Schließlich ist Jauch Erstunterzeichner des Anfang September veröffentlichten Aufrufs „Ökumene jetzt!“, in dem es um die Überwindung der Kirchenspaltung geht. Neben Jauch finden sich hier eine Menge interessanter Namen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion. Kleine Auswahl gefällig?

Annette Schavan, Antje Vollmer, Norbert Lammert, Wolfgang Thierse, Frank-Walter-Steinmeier, Thomas de Maiziere, Richard von Weizsäcker…lassen wir’s bei den Politiker_innen. Wohl gemerkt: Das sind alles Erstunterzeichner! Wer mag, kann sich die Gesamtliste unter oekumene-jetzt.de zu Gemüte führen.

Zurück zu Jauch. Ihm zahlt der NDR aus dem Gebührentopf 4.487,- Euro für seinen Sonntagabend-Talk. Pro Sendeminute. Mithin also 26.922,- Euro pro einstündiger Sendung. Brutto. Das ist ungefähr das Zehnfache des Brutto-Monatsgehaltes einer Krankenschwester. Es sei an dieser Stelle noch einmal das Motto der Sendung eingeflochten: „Eine Frage der Gerechtigkeit – wer kann noch in Wohlstand leben?“ Aber weiter im Text. Mangelndes finanzielles Entgegenkommen kann man dem NDR also nicht unterstellen. Dies ist jedoch noch nicht alles. Das man sich von Jauch – oder der Produktionsfirma „i&u TV“, denn selbstverständlich produziert der NDR die Show nicht selbst – bieten lässt, dass er sich einen Talkgast einlädt, dessen Projekt von Jauch finanziell abhängig ist, sprengt dann doch den Rahmen des journalistischen Anstands. Da ist es fast schon müßig zu erwähnen, wem die Produktionsfirma gehört. Es sei dennoch gesagt: Sie gehört natürlich Günther Jauch und hat neben Jauch selbst etliche Fernsehgrößen unter Vertrag: Oliver Pocher, Dieter Nuhr, Steffen Hallaschka, Kai Pflaume, Oliver Geißen, Jörg Pilawa. Die arbeiten alle für Jauch und alle transportieren Meinung. Es ist zu hoffen, dass dies keine Krankenschwester zu lesen bekommt. Aber wenn sie will, kann sie das auch jenseits dieses Textes erfahren und wenn sie fleißig sucht, werden ihr auch noch die Immobilien Jauchs und sein Weingut „Von Othegraven“ an der schönen Saar auffallen.

Sagen wir es ganz brutal: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen überlässt sein Flaggschiff der politischen Meinungsmache einem Multimillionär, der sich dazu Freunde einlädt, die ihm gern dabei helfen, die fälligen Steuern statt an den Fiskus an Projekte seines Gefallens zu zahlen. Dies ist nichts weiter, als die Privatisierung des Sozialstaates. Die Superreichen wollen also auch noch bestimmen, wer und zu welchen Bedingungen unterstützt wird. Und auch jemanden, der hysterisch die Senkung der öffentlichen Ausgaben fordert, findet Jauch problemlos.

Der Wurstmaxe

In diesem Falle Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern München, Besitzer einer Wurstfabrik mit 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr und ebenfalls ein braver Katholik. Auch Hoeneß lebt gut von Hartz IV, indem er z.B. Netto und Aldi mit Volksbratwurst beliefert, sowie genügend in keiner Gewerkschaft organisierte Mitarbeiter findet, die ihm für 1500,- Euro Brutto im Monat den Wurstteig kneten. Die Gewerkschaft NGG sprach gar von 1380,- Euro. Eine Summe, für die sein Freund Jauch immerhin knapp 20 Sekunden seines Sonntags im Berliner Gasometer sitzen muss. Geliefert haben ihm diese Arbeitskräfte Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier (Ökumene jetzt!) mit ihren Arbeitsmarkt-Reformen. Wen wundert es, wenn der SPD-Altkanzler denn auch ein kräftiges Lob vom bekennenden CSU-Freund Hoeneß bekam. Hoeneß ist als Selfmade-Mann bekannt und wird immer gern vorgeführt, wenn es gilt, die Legende vom Tellerwäscher, der es zum Millionär bringt aufzufrischen.

Völlig unverdächtig ist er allerdings des Besitzes eines überdurchschnittlichen Intellekts. Dies stellte er eindrucksvoll unter Beweis, indem er eifrig Bernd Siggelkow dafür lobte, mit den armen Kindern nach dem Tischgebet die Hausaufgaben zu erledigen, denn Bildung sei ganz wichtig, für bessere Chancen auf einen guten Job. In diesem Unfug waren sich übrigens fast alle einig. Dass eine Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus hingegen die Chancen des Einzelnen auf einen Job verringert, so lange es mehr Arbeitssuchende als Jobs gibt, da die Konkurrenz um selbige dadurch wächst und man dies das „Bildungsparadoxon“ nennt, davon hatte scheinbar außer Katja Kipping noch niemand etwas gehört. Aber eben nur scheinbar. Jauch dürfte dies recht gut wissen und es ist kaum zu erwarten, dass es dem Großbürger Jauch und dem Missionar Siggelkow um mehr geht, als dass ein 18jähriger die Bibel lesen, schlechte Arbeitsverträge unterschreiben und die Zahlen auf der Fernbedienung zuordnen kann. Damit kann dann auch Uli Hoeneß gut leben: Ein paar Würste sind mehr als ein Paar Würste – was braucht der Mensch mehr zu wissen? Und ein paar Stühle sind mehr als ein Paar Stühle – wen also setzt man auf den Rest?

Die Studio-Dekoration

Hannelore Kraft, SPD und vom Katholizismus zum Protestantismus konvertiert sowie Edmund Stoiber, CSU, Protestant – sie waren auch da. Dass zu ihnen hier nichts weiter steht, hängt damit zusammen, dass sie nichts zu sagen hatten, was es sich zu notieren gelohnt hätte. Lediglich, dass auch sie Bildung und warmes Essen für wichtige Sachen halten, war ihren Wortbeiträgen zu entnehmen. Man hätte getrost auf einen Stuhl ein Buch legen und auf einen Stuhl einen Kochtopf stellen können. Oder eine Bratwurst. Dann wäre Uli Hoeneß noch begeisterter gewesen, als er es ohnehin von Frau Kraft war, die er gern in einer Regierung mit Angela Merkel sähe, wie das schwäbisch-bayrische Urviech betonte. Egal – wären Frau Kraft und Herr Stoiber nicht da gewesen, hätte die sechste im Bunde vielleicht die Gelegenheit gehabt, etwas umfassender zu erklären, was für sie eine Frage der Gerechtigkeit ist.

Die Linke

Katja Kipping ist seit knapp vier Monaten Vorsitzende der LINKEN. Seit sieben Jahren hingegen ist sie sozialpolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion und war in den letzten drei Jahren Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestag. Man darf ihr also unterstellen, dass sie mit den sozialen Schieflagen des Landes vertraut ist und auch das Ausmaß der Verwerfungen genau kennt, die mit der AGENDA 2010 über das Land gekommen sind. Dies war für Hoeneß kein Hindernis, Katja Kipping zuerst von einem großen Problem zu unterrichten, dass sie habe: Oskar Lafontaines großes Haus, das viel größer sei als sein Haus, das Haus des Wurstkönigs. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Dies kommt von einem Typus Mensch, für den Gewerkschafter Sozialneider sind. Für den Rest der Sendung verlegte sich Hoeneß darauf, Kipping als Theoretikerin zu begeifern, die keine Ahnung von der Praxis habe und sich vom Steuerzahler alimentieren ließe. Wohl gemerkt: Neben Hoeneß saß sein FC Bayern-Kumpel Dr. Edmund Stoiber, der 1971 als Jurist über den „Hausfriedensbruch im Lichte aktueller Probleme“ promoviert hat und seither als Politiker vom Steuerzahler alimentiert wird. Bis zu seiner Promotion hatte Stoiber studiert und als wissenschaftlicher Mitarbeiter theoretische Arbeit an der Uni Regensburg geleistet. Alles bezahlt vom Steuerzahler. Man braucht einen starken Magen, um dies auszuhalten.

Hannelore Kraft schaffte es dann noch, sich angewidert von Katja Kipping abzuwenden, als diese sie auf die Eierei Siegmar Gabriels in der gegenwärtigen Rentendebatte ansprach. Dies sei nicht so. 12 Stunden später stellte sich heraus, dass es sehr wohl so ist und Gabriel seitens der SPD-Linken gehörig gerupft wird. Aber dies war dann schon egal. Zeit für ein Fazit.

Die stille Übernahme

Es ist nicht die eine Sendung allein, die Sorge bereiten muss. Sorge bereiten muss die stille Übernahme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens durch die Privatwirtschaft. Sorge bereiten muss die stille Übernahme des Sozialstaates durch die Privatwirtschaft. Nach den umfassenden Privatisierungen der Daseinsvorsorge (Krankenhäuser, Wohnungsgesellschaften, Wasserversorgern usw.) wird nun die Privatisierung der Meinungsbildung und der sozialen Sicherungssysteme vorbereitet. Siggelkow sagt letzteres übrigens ganz unverblümt und es überrascht wohl niemanden, dass er dabei die Verlobte Carsten Maschmeyers an seiner Seite hat.

Nach dem Testballon der Teilprivatisierung der Rentenversicherung geht es nun an den Rest – und der wird gönnerhaft religiösen Connections zur Verwaltung übergeben, die im Fernsehen fleißig für ihren Glauben werben dürfen. Ora et labora. Wer sich die Abspanne der Produktionen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen genau anschaut, weiß, dass die Redaktionen längst eines Großteils ihrer Rechte beraubt sind. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen überlässt weite Felder seiner Produktionen der Privatwirtschaft – die bestimmt inzwischen, was gesendet wird – mit ihren Werbeetats, ihren Produktionsfirmen, sowie mittels ihr gewogener und wohl auch finanziell interessierter Politiker in den Gremien der Anstalten.

So wird die Republik zur Bananenrepublik. Schon seit Jahren, Stück für Stück. Günther Jauch darf inzwischen gemeinsam mit Uli Hoeneß ganz öffentlich-rechtlich die Begeisterung des Volkes dafür organisieren, dass die Demokratie weitgehend beseitigt wird. Wem nichts gehört, der hat auch nichts zu sagen. Es wird höchste Zeit, sich zu wehren, an allen Fronten. DIE LINKE allein ist bei aller Sympathie zu schwach dazu.

Björn Schenk


			

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