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Rückblick auf den Scheinskandal Philharmonie

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Prolog

Mit dem Stadtratsbeschluss zum Doppelhaushalt 2017/2018 wurde der Dresdner Philharmonie die Aufgabe gegeben, mit einem um 250.000 Euro reduzierten Etat auszukommen.

Danach brach das mediale Inferno los!

Die Inszenierung dieses Infernos ging ungefähr so: Vollkommen unerwartet legt RotGrünRot die Axt an die kulturelle Grundversorgung, bricht die Versprechen des erst kurz zuvor beschlossenen Bespielungskonzeptes für den neuen Kulturpalast, die Kulturbürgermeisterin (LINKE) stellt sich gegen den Oberbürgermeister, der hart für die Philharmonie gekämpft hat, der Dirigent Sanderling sieht sich gezwungen die Stadt zu verlassen, die Eröffnung des Kulturpalastes ist gefährdet. Oberbürgermeister, Intendantin und Dirigent spielen das selbe Stück und erschaffen einen schwarzen Peter, den sie dann der Ratsmehrheit zuschieben können.

Ich habe lange mit mir gekämpft, ob ich diesen Vorgang noch einmal aufarbeiten soll. Angesichts der aktuellen Verhandlungen mit der Intendantin Frauke Roth über ihre Vertragsverlängerung habe ich mir aber doch die Mühe gemacht.

Bespielungskonzept

Am 29. 09. 2016 beriet der Stadtrat die Vorlage zum Bespielungskonzept. (Man kann den Tagesordnungspunkt anschauen, ich habe das Video in der rechten Seitenleiste eingebunden). Dieser Beratung gingen erhebliche Diskussionen voraus, ob der in der Vorlage gewünschte Etat nicht etwas zu üppig sei. Eine genaue Vergleichbarkeit ergab sich nicht, da die Philharmonie nach einer langen Übergangszeit nun die Aufgabe bekam, auch über die eigenen Konzerte hinaus für den Kulturpalast zuständig zu sein.

Ergebnis dieser Debatten waren am Ende zwei Anträge, einer von der SPD und einer von den LINKEN, die beide als Ziel hatten, den voraussichtlichen Etat etwas zu reduzieren und die sonstige Kulturförderung im gleichen Atemzug zu erhöhen.

Ausschließlich Details in der Vorgehensweise verhinderten, das man zu einer gemeinsamen Entscheidung über eine Reduktion kam. Deswegen wurden beide Anträge abgelehnt und die Ursprungsvorlage angenommen. Spannend sind hier zwei Dinge: Zum einen  war die Intendantin Frauke Roth anwesend, konnte also genau erkennen dass es keine gesicherte Mehrheit für ihr Budget gibt, zum zweiten bestätigte der Oberbürgermeister ausdrücklich, dass die Entscheidung über die Höhe des Budgets beim Stadtrat liegt. Hier das wesentliche Zitat aus der Niederschrift der Sitzung:

Punkt 17: …

Herr Stadtrat Schollbach gibt eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten: „Herr Oberbürgermeister, kein Geschäftsordnungsantrag sondern eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten. Die Fraktion DIE LINKE. hatte ja beantragt, dass der Oberbürgermeister beauftragt werden sollte zu prüfen, inwieweit die finanziellen Aufwendungen der Philharmonie reduziert werden können zu Gunsten der Kulturförderung. Dieser Antrag mag jetzt keine Mehrheit gefunden haben. Ich möchte nur zur Klarstellung hier noch einmal bekannt geben und betonen, dass die finanziellen Mittel der Philharmonie verbindlich erst mit dem Haushaltsbeschluss vorgelegt werden, nichts anderes haben wir gerade beschlossen. Da der Stadtrat die Verwaltung nicht beauftragen mochte, die Aufwendungen zu reduzieren, werden wir jetzt natürlich diese Prüfungen selbst vornehmen und dann mit dem Haushaltsbeschluss entsprechend vornehmen. Vielen Dank.“

Herr Oberbürgermeister Hilbert stellt klar, dass bei allen Stadtratsbeschlüssen der Stadtrat das Budgetrecht habe. Sollten alle Beschlüsse zu 100 Prozent realisiert werden, bräuchte man viel mehr Geld.

Der Ratsbeschluss und die Nachwehen

Am 24. 11. 2016, auf der übernächsten Ratssitzung, wurde dann der Doppelhaushalt 2017/2018 beschlossen. In diesem sah die Ratsmehrheit eine Kürzung des Philharmoniebudgets um 250.000 Euro vor. In Kenntnis dieses Kürzungsvorschlages der RotGrünRoten Ratsmehrheit, die ihm etwa eine Woche zuvor offeriert wurde, brachte der Oberbürgermeister während der Ratssitzung einen Änderungsantrag ein. Dieser hatte zwei Schönheitsfehler, die nicht unerwähnt bleiben dürfen: Dirk Hilbert hatte es nicht fertiggebracht, mit der Ratsmehrheit einen Verbesserungsversuch während der Sitzung zu besprechen, um unsere Stimmen zu gewinnen, und er hat den Änderungsantrag so gestrickt dass dieser nicht zustimmungsfähig war. In Folge dieser aus meiner Sicht absichtlich eingebauten Fehler wurde der Antrag auch abgelehnt.

Schon kurze Zeit später wurde ein Brief des Chefdirigenten Sanderling erst an die Kulturbürgermeisterin und kurze Zeit später an die Presse geschickt. Diesen hat er, so soll es scheinen, auf einer Konzertreise geschrieben. Allein der dort enthaltene Bezug zum Oberbürgermeister ist für mich Indiz einer (vielleicht gern akzeptierten) Instrumentalisierung.

„Sie haben es in der laufenden Debatte versäumt, sich der engagierten Rede unseres Oberbürgermeisters anzuschließen und den Stadträten fachlich darzulegen, dass das ursprüngliche – nach verantwortungsvoll und ausgiebig geführten Verhandlungen zwischen dem Oberbürgermeister, der Verwaltung und unserer Intendantin – entstandene Haushaltskonzept ein bereits stark eingekürzter Haushalt ist, der ohne eklatanten Substanzverlust nicht weiter nach unten korrigierbar ist.Diese Budgetkürzung bedeutet nicht weniger als eine signifikante und verantwortungslose Beschneidung der künstlerischen Arbeit der Philharmonie per sofort. „

So schreibt Sanderling in seinem Brief. Nun, in meinen Ohren war die Rede des OB nicht sonderlich engagiert. Wie auch, wenn er höchstselbst den Philharmoniehaushalt unter Beschlussvorbehalt des Stadtrates gestellt hatte.

Selbstverständlich stürzte sich die Presse auf diesen Brandbrief des Chefdirigenten. Bis auf wenige Ausnahmen wurde dabei das hier völlig falsche Schema „Böse Politik kürzt gute Kultur“ bedient. Keiner fragte, ob denn städtischerseits überhaupt ein Interesse besteht, den Zeitvertrag des Dirigenten zu verlängern, oder ob seine Behauptungen in der Substanz stimmen. In den Folgetagen sekundierte die Intendantin Frauke Roth mit abenteuerlichen Aussagen, so sein beispielsweise die Eröffnung des Kulturpalastes in Gefahr oder gar nun könnten vereinbarte Konzerte mit Roland Kaiser nicht stattfinden.

Epilog

Der Druck der veröffentlichten Meinung führte dann dazu, dass der Stadtrat seine moderate Budgetbeschneidung in einem Formelkompromiss zurücknahm. Die Sache hat allerdings auch ihr Gutes: Noch nie ist so kontrovers öffentlich über den Etat der Philharmonie diskutiert worden. Diese Diskussion wird sich nicht mehr unter den Teppich kehren lassen: Was verdient ein Dirigent? Was verdient eine Intendantin? Was verdienen die Musikerinnen und Musiker für welche Leistung? (Nur als vorgeschlagener Selbstversuch: Probieren Sie doch einmal die gültigen Tarife für Orchestermusikerinnen und Orchestermusiker im Internet zu finden.) Und besonderes Interesse wird die Öffentlichkeit wohl dafür entwickeln, ob ein eventuell höheres Gehalt der Intendantin nach einer Vertragsverlängerung nun aus dem Etat der Philharmonie genommen wird.

 

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