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Stell dir vor es ist Polarisierung – und DIE LINKE ist kein Pol

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Ein Gastbeitrag von Tilo Wirtz

Thomas Feske hat in seinem ursprünglich bei Twitter veröffentlichten Gastbeitrag seinen Ärger über das von einigen stadtbekannten Grünen betriebene und wirkungsvolle Labeling von Stadtrat Tilo Wirtz als „reaktionär“ oder als „mit dem rechten Block stimmend“ deutlich gemacht. Anstatt sich der unter diesem Beitrag beginnenden kurzen Diskussion zu widmen hat Genosse Wirtz, und dafür danke ich ihm sehr herzlich, nun ausführlich und beinahe programmatisch auf die dortige Reaktion von Genossen Sven Houska geantwortet.

DIE LINKE muss sich um die Folgen der Grünen Gentrifizierung kümmern

1. Fahrradzone oder Fahrradzone mit Kfz-Zufahrtsberechtigung – wünschenswertes, machbares, alles oder nichts?

Es ist schade, dass Sven Houska nicht im Stadtbezirksbeirat Loschwitz mit dabei gewesen ist. Ein grüner Stadtbezirksbeirat lobte meinen Antrag zu StVO-Novelle und fand nur einen grundsätzlichen Makel daran, nämlich dass er, leider, nicht von den Grünen sei. Und so ist es, landauf landab stellen die Grünen den Antrag auf Anordnung von Fahrradzonen, in Dresden tun dies DIE LINKEN. Auch im Stadtbezirksbeirat Neustadt, in Cotta, in Altstadt eben mit Stimmenhaltung der Frau Krause von den Grünen aber unter Zustimmung eines kleidungsmäßig offensichtlichen Fahrradenthusiasten der CDU und in Blasewitz wurde der Antrag angenommen. Auch in Plauen und sogar in einigen als stockkonservativ verschrieenen Ortschaften wie Oberwartha, Altfranken oder Cossebaude. Anders als eine „autofreie Neustadt“ ist die StVO-Novelle das derzeit von der Verkehrsbehörde anordenbare, alles andere ist gar nicht umsetzbar. Aber das ist eine grundsätzliche Frage unter LINKEN, entweder unerreichbare Ziele setzen und in einer Märtyrerrolle bei Unerfüllbarkeit verharren oder durch kleine Schritte Terrain besetzen und Veränderungen etappenweise Raum verschaffen, vor allem eben auch in Gebieten, wo es für die Menschen spürbare Verbesserungen bringt und nicht plakativ „im Stadtzentrum“.

Selbst wenn die „autofreie Neustadt“ verkehrsrechtlich möglich wäre, müsste erst geklärt werden, wo denn die 3.800 auf Privatpersonen und 800 auf juristische Personen zugelassenen Autos in der ach so alternativen Antonstadt hin sollen. Denn so „autofrei“ ist die Neustadt nun auch nicht, zuzüglich motorisierten Zweirädern und Nutzfahrzeugen sind 5.600 Kraftfahrzeuge zwischen Königsbrücker Straße und Prießnitzstraße gemeldet, eine Tatsache, die schon die Aktion „Woche des guten Lebens“ berücksichtigen und ursprünglich ehrgeizige Pläne stark eindampfen musste. Und die Verwaltung raunt, dass einige Zweitwohnungsbewohner auch noch außerhalb gemeldete Fahrzeuge im öffentlichen Verkehrsraum der Neustadt herumstehen haben. Lassen wir die von der Stadt gemäß Bauordnung durchgesetzten Tiefgaragen außer acht und die weiter zu ihnen zu garantierende Zu- und Abfahrtmöglichkeit – das umweltfreundliche Verhalten eines Stadtteils würde bedeuten, dass er seinen ruhenden Verkehr in die benachbarten Stadtteile drückt. Heiliger Sankt Florian, verschon‘ dies Haus, zünd‘ and‘re an! – heißt das Stankt-Florians-Prinzip der Verdrängung von ungünstigen Tatsachen auf andere.

Gerade weil eine „autofreie“ Neustadt verkehrsrechtlich derzeit nicht anordenbar ist, stellt eine Fahrradzone mit Zufahrtsberechtigung für motorisierte Fahrzeuge einen guten Einstieg dar. Fahrräder wären bevorrechtigt, die Geschwindigkeit wäre reduziert – und der nächste Schritt irgendwann, wenn die Gesetze das ermöglichen und die Infrastruktur dafür geschaffen ist, kann das Zusatzschild abgeschraubt werden, dann wäre der Stadtteil eine reine autofreie Fahrradzone. Anders herum, ich will die Fahrradzone nicht mit Zufahrtsberechtigung für Kraftfahrzeuge, sondern ich beantrage sie so, weil sie derzeit nur so zu haben ist. Wenn mir der grüne Bau- und Verkehrsbürgermeister in der Debatte sagt, ich kann die Fahrradzone auch ohne Zufahrt für Kraftfahrzeuge kriegen, dann um so besser – das heißt, so lange ich im Stadtrat dann noch eine Mehrheit habe. Denn real ist eine Fahrradzone mit Zufahrt von Kfz, die mehrheitlich bei der Verwaltung in Auftrag gegeben wird doch besser, als eine reine Fahrradzone, mit der ich im Stadtrat durchfalle.

2. Parkgebühren – wollen wir einen Verhaltenswandel oder Geld, beides gleichzeitig geht nicht und wie gehen wir mit der Grünen Gentrifizierung um?

Kommen wir zu den Parkgebühren. Der Gedanke die Parkgebühren anzupassen kam Rot-Grün-Rot bereits vor fünf (?) Jahren. In den folgenden Doppelhaushalten wurden entsprechende Einnahmeerhöhungen unterstellt. Allerdings wurde eine Gebührenerhöhung von der Verwaltung nicht umgesetzt. Der verantwortliche Baubürgermeister war Raoul Schmidt-Lamontain von den Grünen. Ergebnis war, dass die unpopuläre Diskussion um die Erhöhung von öffentlichen Gebühren dauernd durch die Presse geisterte, dabei allerdings die Gebühren gar nicht erhöht wurden und auch kein Geld hereinkam. Dümmer konnte es nicht laufen für Rot-Grün-Rot. Gekrönt wurde diese Unfähigkeit durch eine Vorlage, die nun das Kind mit dem Bade ausschüttete und vom Nichtstun in äußersten Aktionismus verfällt. Keine Tageskarte mehr im Stadtzentrum, die Gebühren von null auf hundert in Wohnstraßen und gleichzeitig die Unklarheit, ob Hebammen, Sozial- und Pflegediensten sowie Handwerkern im beruflichen Einsatz noch Erleichterungen gewährt werden können. Und das alles unter dem Label des Umwelt- und Klimaschutzes. Oder doch der vulgären Finanzpolitik? Einerseits werden die hohen Gebühren begründet mit dem Ziel der Umerziehung der Menschen, weniger Auto zu fahren, also zur Veränderung des modal split hin zum Umweltverbund. Auf der anderen Seite aber werden in der Stadt die Gebühren so kalkuliert, als würde es keinen Verhaltenswandel geben, denn die Einnahmen sind fest im Haushalt eingeplant. Mal abgesehen, wie das in Zeiten der Pandemie mit einem im wesentlichen geschlossenen Stadtzentrum überhaupt funktioniert.

3. Die Nutzung von Privat-Kfz unterliegt einer sozialen Spaltung – höhere Kosten verschärfen diese Spaltung

Im Zeichen der CO2-Steuer, der Erhöhung von Gebühren, der Kostensteigerungen für Strom, für Lebensmittel, der Mieten muss nun von der LINKEN die Frage gestellt werden, was das für die einzelnen betroffenen Menschen – in Summe – bedeutet. Das Autofahrer-Klischee wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung aufgemacht: „Wohlhabende, Männer und Erwerbstätige fahren überdurchschnittlich viel Auto, während Ärmere, Frauen, Junge und Alte stärker den öffentlichen Nahverkehr nutzen.“ Und bei geringem Einkommen nutzen nur 13 Prozent einen privaten Kfz im Alltag, bei durchschnittlichem Einkommen 29 Prozent und bei hohem Einkommen 36 Prozent. So auch im grünen Blogbeitrag von Susanne Krause. Daraus wird postuliert, dass höhere Parkgebühren gar nicht unsozial seien. Denn die Preiserhöhungen für den Privat-PKW träfen ja vor allem die Reichen! Diese Interpretation übersieht allerdings die offensichtliche soziale Schere, die hier aufgeht. Demnach hängt die Nutzung eines privaten Kfz im Alltag nicht vom Bewusstsein ab, sondern schlicht vom finanziellen Spielraum. Und da werden höhere Abgaben auf die Kfz-Nutzung sehr wohl unsozial, weil nämlich nicht dem oberen Ende der Skala finanziell die Luft ausgeht, sondern dem unteren, somit also die schon jetzt manifeste soziale Spaltung bei der Nutzung von Privat-Kfz nicht verringert, sondern, im Gegenteil immer mehr vertieft wird, wobei das obere Ende der Skala sogar noch belohnt wird für das höhere Entgelt, denn wenn die gebrauchten Kleinwagen der Habenichtse endlich von den Straßen verschwunden sind, kommen SUV, Daimler und BMW umso schneller durch die Stadt und um so unkomplizierter an einen Parkplatz. Dass seitens der LINKEN zu unterstützen unterstellt auch, dass sich die aus finanziellen Grünen Autolosen mit ihrem Los abgefunden hätten und nun ihre ein wenig besser gestellten Mitmenschen finanziell unter Druck setzen wollen, dass die ihre Autos auch noch aufgeben müssen. Von oben betrachtet ist das eine interessante Entsolidarisierung und Spaltung der einkommens- und vermögensmäßigen Unter- und unteren Mittelschicht. Kommt dazu, dass die Nutzung von Kraftfahrzeugen gar nicht so getrieben ist von Angeberei, der durchschnittliche PKW ist in Deutschland gegenwärtig 9,6 Jahre alt, sondern schlicht kein ÖPNV mit der Flexibilität, Schnelligkeit und Bequemlichkeit eines PKW mithalten kann. Ins ähnliche Horn stößt das Mantra von der Beschuldigung von Autobesitzern, ihr Fahrzeug im „kostbaren“ und „knappen“ öffentlichen Raum abzustellen. Mal abgesehen davon, dass hier der ordinären kapitalistischen Bodenrendite das Wort geredet wird, können in diese Masche alle Bewohner von Wohneigentum einstimmen, die entweder einen Privatcarport auf ihrem Grundstück oder die Stellplätze einer Wohneigentumsanlage nutzen und vielleicht sogar noch über einen reservierten Firmenparkplatz verfügen dürfen. Hier beißt es wieder diejenigen in den Hintern, die im Darwinismus um ein bisschen Vermögen und Wohlstand zwar einen eigenen Wagen unterhalten, allerdings beim Erwerb von Wohneigentum nicht mehr mithalten können und ihr Fahrzeug an einer öffentlichen Straße abstellen (müssen).

4. Die Menschen verfügen eher über ein Auto als über Wohneigentum, die Verteuerung des Autos bedeutet sozialer Abstieg

Dazu ein kleiner Exkurs zum Wohneigentum. Das sozio-ökonomische Paneel macht gerade diese Vermögenspyramide auf, vom privaten Auto geht es zum Haus oder zur Eigentumswohnung und nicht umgedreht, abgesehen davon, dass die Grünen nun auch noch den Bau von Einfamilienhäusern verbieten wollen. Hier treffen sich vermeintlich die Interessen einer Ökoboheme mit denen des Immobilienkapitals, dass Deutschland in der OECD das Land mit der zweitschlechtesten Wohneigentumsquote bleiben möge. Und, machen wir uns nichts vor, gegenüber einem Miethai ist nicht die Sozialwohnung der emanzipatorische Akt, sondern die selbstbestimmte Verfügung über Wohneigentum. Dass das im vegane Ökomöhren mümmelnden grünen Stuttgart oder aktuell in Hamburg auf offene Ohren stößt mag mit dem Widerspruch begründet sein, dass dort 26 bzw. 24 Prozent im Wohneigentum leben, in Dresden sind es dreißig Jahre nach der Vereinigung nur 16 Prozent. Was beiden genannten Flächenländern übrigens gemeinsame ist, Rot-Rot-Grün hat keine Machtperspektive, in BW allerdings bei zusammen (2016) 45,9 Prozent, wobei DIE LINKE mit 2,9 Prozent nicht mal im Landtag vertreten ist und in Sachsen bei zusammen (2019) 26,7 Prozent – wobei sich Grüne und SPD nun in einer Koalition mit der CDU befinden – was die Umsetzung des Planes Billiglohn Ost der CDU mit den nun draufgepackten Ökoabgaben á la Grüne mit den Menschen macht, wird zu besichtigen sein. Einen Vorgeschmack hat DIE LINKE in Sachsen bei den Landtagswahlen 2019 erlebt.

5. Was ist umweltfreundliche Mobilität? – Antwort: Das kommt drauf an.

„Fahrt“ aufgenommen hat der Kampf gegen das Auto mit dem sogenannten „Dieselskandal“, dessen Auslegung von den Betroffenen nur deshalb geduldet wird, da der Gesetzgeber und die Gerichte derzeit die Hoffnung auf Schadensersatz machen, sprich die Aussicht, den Kaufpreis ganz oder teilweise erstattet zu bekommen und das (benutzte) Fahrzeug entweder weiterzunutzen oder benutzt zurückgeben zu können. Fraglich ist, wer von den „Betrogenen“ wirklich geglaubt hat, dass in einen Motor Treibstoff geschüttet und hinten eine grüne Brise aus dem Auspuff kommt. Paradox ist, dass der Verbrauch von Diesel in Deutschland seit 1998, Regierungsantritt Rot-Grün Schröder Fischer von seinerzeit acht Millionen Liter auf über zwanzig Millionen Liter gegenwärtig angestiegen ist. Gleichzeitig ging der Verbrauch von Benzin von vierzig auf 27 Millionen Liter zurück. Aber irgendjemand muss eben auch den anfallenden Diesel verbrauchen. Von 1998 bis 2005 waren übrigens jetzt jene Grünen mit in der Bundesregierung, die jetzt geltend machen, dass früher die Zeichen der Zeit verkannt worden seien, als wären damals Treibstoffe nicht mit der Ökosteuer belastet worden und hätte es keine EEG-Gesetze gegeben, die Deutschland die zweithöchsten Strompreise der Welt beschert hat.

Die Bekämpfung des Privat-PKW macht Umweltaspekte geltend. Demnach sei der PKW umweltschädlicher als etwas der ÖPNV, da pro Kilometer mehr klimaschädliches CO2 entstünde als etwas mit Bus, Straßenbahn oder Eisenbahn. Dazu kann ich nur sagen, das kommt drauf an. Wenn die Familie „Grünens“ stolz verkündet, im Winterurlaub zu viert ganz umweltfreundlich mit dem Zug nach London (und zurück) gefahren zu sein und eine andere Familie mit dem Auto an den Fichtelberg (und zurück) gefahren ist, sieht die Umwelt- und Klimabilanz nämlich ganz anders aus. Während Grünens nämlich von Dresden nach London und zurück 214 Kilogramm Kohlendioxid verursachen, sind es bei den Aufofahrern ins Erzgebirge hin und zurück nur 117 Kilogramm, wenn ich die Angaben des Umweltbundesamtes zu Grunde lege, die für Autos eher ungünstige und für den Zugverkehr geschönte CO2-Angaben machen (Zug nach London 921 km, hin und zurück, vier Personen, 29 g/Pkm und Auto nach Joachymow im Erzgebirge 154 km, hin und zurück, vier Personen 143 g/Pkm bei 1,5 Personen). Nicht das Betreiben und Besitzen eines Privat-Kfz ist umweltschädlich, sondern es kommt auf den bewussten Umgang damit an. Dieser Effekt, die übermäßige Nutzung angeblich umweltfreundlicher (teurerer) Handlungsalternativen wird übrigens Reboundeffekt genannt. Abgesehen davon, dass die Rabattangebote der Öffentlichen sich auch vor allem an die Vielfahrenden wenden.

Nee, es ist für DIE LINKE auch ganz und gar nicht „akademisch“, ob ein Parkplatz viel kostet oder ob es ihn gar nicht gibt. Ersteres macht die Fahrt mit dem Auto in ein bestimmtes Gebiet zu dem, was es mal vor hundert Jahren war, nämlich zu einem Privileg der „Schönen und Reichen“. Ein nicht vorhandener Parkplatz dagegen ermöglicht eine andere Nutzung der Fläche und gilt für den alten Fiat einer prekären untertariflich bezahlten Frau genauso wie für den nagelneuen Ferrari des Multimillionärs, hier kann einfach für kein Geld der Welt (legal) geparkt werden. Das ist „gleiches Recht für alle“ und nicht darwinistische Auslese nach den finanziellen Möglichkeiten. Der Grenznutzen von dreißig Cent ist eben am unteren Ende der Einkommensskala viel, viel größer als am oberen, manchmal in Kombination mit Existenzunsicherheit, Zukunftsplänen, CO2-Abgabe und grüner Gentrifizierung von allen möglichen Lebenssphären existenziell.

Dreist war das Verwaltungshandeln insofern, um weiter auf Sven Houska einzugehen, dass im Bauausschuss mündlich zugesagt wurde, sich weit an die Vorschläge von CDU und LINKEN angenähert zu haben, was sich dann nach Kenntnisnahme des Änderungsantrages des Oberbürgermeisters als Luftnummer entpuppte. Der „krönte“ seinen Plan mit der stufenweisen Umsetzung der Gebührenerhöhungen, also „Gift in kleinen Dosen“, die nicht nur jedes Mal um die 150 Tausend Euro für die Preisumstellung verschlungen hätte, sondern auch die unbeliebte Diskussion jahrelang am köcheln. Zwar wurde in Zone 1 dem Vorschlag von CDU und LINKEN entsprochen, dafür aber in den straßenbegleitenden Parkplätzen in Wohngebieten noch mal draufgelegt. Inakzeptabel. Wir kassieren doch nicht Oma und Opa sonntags beim Besuch der Enkel ab, in deren Dorf irgendwo in der Lausitz nicht mal ÖPNV verkehrt.

6. Weg von der Besteuerung von Einkommen, hin zu Verbrauchsabgaben, wenn der Solizuschlag durch die CO2-Abgabe ersetzt wird

Verhaltensänderungen via Preisschraube sind ein neoliberales Konzept. Die politisch Linke hat inzwischen vergessen, dass die Entlastung von Einkommen und die Belastung von Verbrauch mit Steuern und Abgaben Ärmere mehr trifft als Reichere. Letztere könnten sogar Abgaben auf Verbrauch wiederum von der Steuer absetzen, sofern sie über entsprechende Abschreibungsmöglichkeiten verfügen.

7. Der soziale Fahrstuhl nach oben wurde von der Rolltreppe nach unten abgelöst

Gemäß Habermas werden soziale Spaltungen und soziale Ungerechtigkeiten ertragen, so lange die Aussicht und die Tendenz ihrer Aufhebung besteht. Habermas hat das im Bild des sozialen Fahrstuhls dargestellt, bei dem es für alle früher mehr oder weniger nach oben ging. Das galt ungefähr bis um die Jahrtausendwende. Im Zuge der Finanzkrise hat der Soziologe Oliver Nachtwey dem Bild des sozialen Fahrstuhles nach oben für alle das Bild von der Rolltreppe gestellt, die nach unten fährt und nur noch diejenigen nach oben kommen, die schneller nach oben laufen, als die Rolltreppe nach unten fährt. Nachtwey erklärt damit auch die zunehmende Xenophobie. Es ist jener Alptraum der Gesellschaft von Alice im Spiegelland, die gemeinsam mit der Schachkönigin immer schneller laufen musste, nicht um voranzukommen, sondern um an der Stelle zu bleiben. Und in diesem Sinne ist es ein Irrtum zu glauben, die zunehmende Bepreisung von Privat-Kfz würde von den angeblich nicht betroffenen Nichtautobesitzern begrüßt, denn es muss einkalkuliert werden, dass ihr gehegter Wunsch, auch in den Genuss eines eigenen Autos zu kommen, immer weiter in die Ferne rückt, was diese Gruppe nicht glücklicher machen dürfte.

Mehr noch. Die Bepreisung von Mobilität auch in Kombination der Verknappung von Bauland führen zu wachsender Nachfrage nach Wohnraum in Innenstädten und damit zu weiteren Preiserhöhungen. Dies dürfte dem Immobilienkapital recht sein.

Vor dem Hintergrund wachsender Prekarität und Zukunftsunsicherheit müssen dann auch die Wahlergebnisse in Sachsen gesehen werden. DIE LINKE übersieht, dass die grüne Gentrifizierung durch Umweltabgaben und Ökomaßnahmen die Mittelschicht sozial absteigen lässt. Sich dabei für die Gewährleistung des Existenzminimus einzusetzen ist honorig, allerdings stellt das Existenzminimum politisch gar niemand in Frage. Und viele werden einen schmerzhaft langen Abstieg hinter sich haben, bevor das soziale Netz greift. Auf eine Mittelschichtfamilie in Dresden/Sachsen wirken dabei zur Zeit viele Stressoren ein. Die CO2-Abgabe wird alle Lebensbereiche verteuern, denn überall entsteht CO2. Wer in einer Mietwohnung wohnt, hat dabei noch nicht mal die Möglichkeit, dem Preisdruck nachzugeben, etwa die Heizung zu modernisieren und vielleicht noch von Subventionen zu profitieren, denn der Vermieter entscheidet über die Art der Heizung und den treffen höhere Betriebskosten gar nicht, für ihn entsteht keinerlei Anreiz. Subventioniert werden wiederum die Eigentümer ihres Hauses oder ihrer Wohnung, die sich E-Ladesäulen und damit E-Autos, Solaranlagen und die Modernisierung ihrer Heizung fördern lassen können. Der Förderteufel scheißt wieder mal auf den größten Haufen, während die Kosten von der Mittelschicht getragen werden via der genannten Abgaben um den Preis ihres materiellen Abstieges. Das ist Umverteilung von der Mitte ein bisschen nach unten und vor allem nach oben.

8. Barocke Stadt versus autogerechte Stadt, Reko versus Investorenarchitektur – was davon ist bitte politisch links?

Bedauerlich ist, dass Sven Houska am Ende persönlich und ideologisch wird. Konservativ und progressiv sind keine Antipoden. Auch hat die von mir vertretene Wertschätzung von Baudenkmalpflege nichts mit der Frage der Bepreisung von Mobilität zu tun. Mein Engagement für die geschützte landschaftsgärtnerische Bürgerwiese, geschaffen von Lenné oder die Stadtsilhouette oder auch der Kampf um die Kleinteiligkeit der Entwicklung am Königsufer standen im Zeichen der Eingrenzung der Gewinnmaximierung von rücksichtsloser Investorenarchitektur oder Protzarchitektur der Verwaltung und waren auch wissenschaftlich vom Stand der Kunst gedeckt, welcher den Umgebungsschutz von Kulturdenkmalen festsetzt. Was die Vertretung von LINKEN-Interessen dabei betrifft kleiner Hinweis, die Belange der Baudenkmalpflege werden nicht im Geschäftsbereich des Baubürgermeisters der Grünen bearbeitet, sondern von der Kulturbürgermeisterin der LINKEN verantwortet und vertreten.

Gerade die Kleinteiligkeit des Königsufers und die Rekonstruktion zweier barocker Bürgerhäuser neben dem Blockhaus haben dazu geführt, dass kulturkonservative Kreise die DDR-Platten auf der anderen Seite des Neustädter Marktes nicht mehr angegriffen sondern als Bestand akzeptiert haben. Fraktionsübergreifend hat der Begleitbeschluss zum Wettbewerbsergebnis zur Feststellung geführt, dass die in der Tat stadtzerschneidende Köpckstraße/Große Meißner Straße verkleinert werden sollte, damit die bedeutenden Bauten am Elbufer und das Elbufer selber nicht mehr länger von der Inneren Neustadt und umgekehrt abgeschnitten sind. Hier wäre in der Tat Verkehrsreduzierung, Aufenthaltsqualität und Stadt zu gewinnen. Die reineweg verkehrsideologisch agierenden Gruppen kaprizieren sich derweil symbolpolitisch auf die Sperrung des Terrassenufers, eine Stelle der Stadt vor dem Wall, an der niemand wohnt und, würde der Plan umgesetzt, auch noch der Verkehrsdruck am eben erwähnten Neustädter Markt und der Willsdruffer Straße, also zentrale Stadtgebiete erhöht werden würde.

Was die Baukultur betrifft gibt es keinen Grund, das baulich-kulturelle Erbe den Konservativen zu überlassen. Warum sollte DIE LINKE das Märchen vom zerstörerischen Kommunisten in Dresden nähren? Mit dem Ende des deutschen Faschismus war die Stadt ja nun wirklich nicht im baulichen Bestzustand, milde ausgedrückt, sondern völlig zerstört. Neben dem teils nachvollziehbaren teils bedauerlichen Abriss von Ruinen wurden vielmehr bedeutende Baudenkmale der Stadt aus Barock und Historismus gerade vor 1989 erhalten, rekonstruiert oder instandgesetzt. Gleich nach dem Krieg der zerstörte Zwinger und die alten Elbbrücken mit Ausnahme der Carolabrücke, die noch am 7. Mai von Wehrmacht und SS gesprengt wurden und die Semperoper, die heute vor 36 Jahren im Beisein von SED-Repräsentanten mit Webers Freischütz wiedereröffnet werden konnte und hinsichtlich der Rekonstruktion architektonisch und kunsthandwerklich Maßstäbe setzte. Weitere Beispiele wären die Hofkirche, das Landhaus, das Gewandhaus, das Große Haus. Dem ehemaligen Wettingymnasium und der heutigen Hochschule für Musik sieht man gar nicht mehr an, dass mehrere Achsen des Gebäudes durch eine schwere Sprengbombe bis zum Keller zerstört waren. Weitere stadtbildprägende Bauwerke des Historismus wie die Ministerialgebäude am Neustädter Elbufer und die gesamte Brühlsche Terrasse vom Landtag über die Kunsthochschule bis zum Albertinum wurden erhalten und durchgängig weitergenutzt, die Reko des schwer zerstörten Stadtschlosses, welches im Historismus völlig überformt worden war, wurde ebenfalls kurz vor der Wende begonnen, die Entscheidung über die Zukunft der Frauenkirche bis hin zur Nichtantastung des Trümmerberges völlig offen gelassen. Selbst die barocke innere Neustadt wurde bereits in den achtziger Jahren begonnen zu sanieren, am Japanischen Palais und am Palais im Großen Garten langfristig gewerkelt, wie Finanzen und Kapazitäten es eben zuließen. Zusammengefasst, es gibt keinen Grund, die politische Linke auf den Abriss der Sophienkirche und die Überformung des Stadtgrundrisses zu reduzieren. Vielmehr ist angezeigt darüber nachzudenken, warum neben der Verheißung einer neuen Gesellschaft vom Reißbrett auch die Verheißung einer neuen Stadt auf wenig Akzeptanz gestoßen ist. Ansätze dafür wären über Entindividualisierung und Standardisierung nachzudenken, über Anonymität und Gigantonomie, über den Verlust von Kunst am Bau und die Folgen der Industrialisierung. Warum sollen wir die Fließbandproduktion von Schweinen schlecht finden und die von kahlen Fertigteilwohnblöcken gut? Gerade die Abkehr vom als konservativ beleumundeten alten Stadtgrundriss mit seiner Kleinteiligkeit war ja unter den Bedingungen von 1949 bis 1989 die Etablierung der autogerechten Stadt mit ihren vierspurigen Magistralen, die Sven Houska ja nun auch nicht mag. Insofern bleibt hier die bittere Erkenntnis, dass es eine „linke“ oder „rechte“ Stadt nicht gibt und nur bleibt, nüchterne Sachpolitik zu betreiben.

9. DIE LINKE hat keine Strategie und verliert die nichtakademischen Bevölkerungsschichten

DIE LINKE hat derzeit keine Strategie. Sie ist in den gegenwärtigen politischen Spannungsfeldern kein Pol. Noch dazu unter den sächsischen Bedingungen dürften die gegenwärtigen Belastungen aus der Grünen Gentrifizierung, die zwar umweltbelastendes Verhalten „verteuern“ sollen aber am Ende im Staatshaushalt versickern und gar nicht zu Gunsten der Umwelt verwendet werden dürften vor allem die Ergebnisse der LINKEN weiter belasten. Denn sie verliert ihr Potential unter den „blue collars“, nämlich den Nichtakademikern, also einer Schicht, in der auch die „APO von oben“ FFF keine Resonanz hat. Deren Botschaften kommt nämlich in unakademischen Schichten an, wie die gewöhnlich abhängig Beschäftigen gehaltene, nämlich dass sie zu anspruchsvoll und zu teuer ist und gefälligst „für die kommenden Generationen“ einzuschränken hat, nur diesmal eben im grünen Mäntelchen. Da sind alle Bestandteile einer Ideologie enthalten, ein Idealbild von Gesellschaft, die sündhafte Abweichung davon und die Projizierung gegenwärtiger Einschränkungen auf die Belohnung in einer zeitlich unbestimmte Zukunft, dass alles drohend vor der düsteren Kulisse von ein bisschen „german Untergang“.

10. Kapitalinteressen und Ökogentrifizierung gehen Hand in Hand

Das Bundesumweltamt postuliert die Verringerung der Wohnfläche pro Kopf der Bevölkerung aus Gründen der CO2-Reduzierung. Bei der Verkleinerung der Wohnfläche bestünde die Ersparnis dabei nicht etwa in einer geringeren Nettokaltmiete, die bleibt beim Umzug in eine kleinere Wohnung demnach gleich, sondern nur in der Ersparnis von Heizkosten. Kalkuliert wurde dabei, dass sich die Wohnfläche um ein Drittel verringert, die Kaltmiete pro Quadratmeter also zurückgerechnet veranderthalbfacht. Der Hebel dabei, die CO2-Bepreisung. Mit dieser Synthese vom Interesse des Immobilienkapitals und dem Umwelt- und Klimaschutz wird die Oberschicht weiter gut versorgt in finanzieller Sicherheit und gutem Gewissen hinsichtlich der Umwelt und der Zukunft ihrer Kinder und der nächsten Generationen leben können, während das Potential der LINKEN auf das Existenzminimum reduziert die Party bezahlen soll. Dass das an der Wahlurne nicht honoriert wird, ist nachvollziehbar. Denn während die Oberschicht finanziell kompensiert wird und das auch leisten, sogar noch finanziell durch Subventionen profitieren kann, schränken sich Mittel- und Unterschicht ein – das ist kein Deal, den ich politisch nach außen verkauft kriege.

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Ein Kommentar

  1. Hallo Tilo,

    danke für die ausführliche Schilderung. Aber sie überzeugt mich nicht. Ein paar Gedanken dazu:

    Die Annahme, dass die Verringerung von Parkflächen alle gleichermaßen trifft und daher im Vergleich zur Erhöhung der Parkgebühren sozial gerechter ist, klingt erstmal spannend. Klar, dort wo kein Parkplatz ist, ist Raum für eine neue Nutzung im Sinne der Allgemeinheit. Das ist gut, auch wenn es unter den derzeitigen Stadtentwicklungsbedingungen kein Automatismus ist. Im Sinne absoluter sozialer Gerechtigkeit geht die Rechnung trotzdem nicht auf. Auch hier gibt es „Fluchtmöglichkeiten“ für Reiche, nämlich hin zu Parkhäusern. Die werden dann entsprechend teurer und exklusiver. Und sie sind (oft vermutlich) nicht in öffentlicher Hand. Von den steigenden Einnahmen profitieren allein die Eigentümer:innen. Von höheren Parkgebühren profitiert zumindest auch die Kommune – nicht für immer, aber zumindest so lange es das System Auto noch funktioniert. Das Geld kann gut eingesetzt werden für den Ausbau von Fahrrad-Verkehrsnetz und ÖPNV – wofür es einiges mehr braucht. Und was die Abschaffung von Parkplätzen angeht, gab es in Dresden ja auch schon Ansätze (Petersburger Str.) – wenn ich mich nicht täusche, haben die Grünen das mitgetragen – und der grüne Baubürgermeister hats umgesetzt. Jetzt gibts da ein Fahrradweg für alle. Den Gegensatz zwischen neoliberalen Grünen hier und sozialgerechten Linken, so groß scheint er dann doch nicht zu sein.

    Was in deinen Betrachtungen außen vor bleibt, dass das System Auto selbst sozial ungerecht ist. Autos in Deutschland werden massiv subventioniert. Jeder gefahrene Auto-Kilometer erzeugt externe Kosten von 11 Cent, den die Allgemeinheit trägt (siehe die Studie von der Allianz pro Schiene: https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/auto-260.html). Davon profitieren keinesfalls alle gleichermaßen, sondern wie so oft bei Subventionen in besonderem Maße Reiche (Vermutung: sie haben auch die größere Kilometerleistung als die Leute, die zur Arbeit pendeln müssen, weil sie keine ÖPNV/Fahrradanbindung haben und die Mieten in der Nähe des Arbeitsplatzes nicht leistbar sind). Das ist ungerecht – und eine Linke sollte das nicht ignorieren. Hinzukommt: Es trägt erheblich dazu bei den Planeten zu ruinieren (den Preis dafür zahlen im Übrigen zuerst die Armen, die die nicht einfach umsiedeln können). Darauf hat FFF, von dir als „APO von oben“ verunglimpft, hingewiesen. Dabei steckt da mehr Klassenkampf drinne, als es etwa einem Grünen wie Habeck lieb sein dürfte (Unterstellung: deswegen die zuletzt stärkere Orientierung zur CDU, weil sie die Radikalität erkennen und Angst bekommen). Aber das ist nichts, wovor Linke sich fürchten sollten.

    Zu den Abstiegsängsten und so weiter: Klar gibt es. Aber sie sind auch Resultat einer kapitalistischen Bedürfnisproduktion, die du auch recht kritiklos übernimmst. Als ob es nicht auch solidarischere, sozialere, freiheitlichere, angstfreiere Lebensmodelle gibt, als „Mein Auto, mein Eigenheim, meine Yacht“. Ok, letztere ist von mir hinzugefügt, verdeutlicht aber ein Problem, dass in deiner Schilderung außen vor bleibt: Wie soll das mit Wohneigentum und Automobilität für 8 oder 9 Mrd. Menschen organisiert werden ohne den Planeten zu ruinieren? Wird nicht funktionieren. Und insofern tut eine Linke gut sich gar nicht erst auf dieses Eigentumsordnung einzulassen, sondern die Verhältnisse in Frage zu stellen und Alternativen zu entwickeln. Der emanzipatorische Akt wäre eben nicht das Wohneigentum, sondern die Vergesellschaftung von Wohnungen und Boden.

    Und im Hinblick auf die Politik wäre der emanzipatorische Akt vielleicht weniger Schützengraben, sondern mehr Kooperation.

    In diesem Sinne solidarische Grüße,
    Philipp

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