Slava fährt uns auf unserer Tagestour. Der Start ist auf die Minute 12 Uhr. Er fährt schnell, hält kurz in Abu Gosh, einer Arabischen Stadt kurz nach Jerusalem auf dem Weg nach Ashdod. Wir sollen die Süßigkeiten probieren, die dort hergestellt werden.
Sie sind unerwartet gut, diese Süßigkeiten, der Kaffee dazu auch und der Muezzin ruft. Die Moschee, sagt Slava, der privat russisch spricht und aus dem Kaukasus „gleich neben Tschetschenien“ stammt, sei mit Geldern von Ramzan Kadyrow erbaut. Dessen Vater stammt aus Abu Gosh.
Aber wir müssen schnell weiter, denn Eva ruft an: wo wir denn blieben, das Essen würde kalt. Nein, wir sollen erst zu ihr kommen und dann baden fahren.
Eva ist die Leiterin des „Israel Goldstein Youth Village“, dem israelischen Partner unseres Projektes „Music For Human Rights“. Wir sind dort für einige Tage zu Besuch.
Also starten wir, oder besser Slava, durch. Es ist nur eine Stunde Weg. Unterwegs erzählt er über sich, über das Youth Village, über Orte am Weg und über den Ort, an dem Evas Eltern wohnen.
Sde Uziyahu ist der Name des Dorfes, in dem Evas Eltern ihr Haus gebaut haben. Nach Israel gekommene Jüd:innen aus Nordafrika wohnen dort. Denen hat der Staat Israel nach seiner Staatsgründung und nach dem 6-Tage-Krieg Land gegeben, weit ausserhalb der Städte. In den Städten siedelten hauptsächlich Jüd:innen aus Mitteleuropa. Und weil das findige Leute waren, diese nordafrikanischen Einwanderer, sind sie im Laufe der Jahre zu Wohlstand gekommen.
Eva begrüsst uns schon vor dem Haus. Sie führt uns hinein in ihre Welt. Freitag, immer vor dem Shabat, so erzählt sie, wurde im Haus gekocht und wer vorbeikam war eingeladen. Es ist immer noch so, sagt sie, und heute kommen wir eben vorbei. Um über Projekte zureden. Auch. Und uns ganz nebenbei etwas über Geschichte und Gegenwart zu lernen. Ihre Eltern sind da, zwei Brüder und eine Schwester. Wir trinken Wasser. Und Bier. Und Schnaps. Ausser Slava, der muss fahren. Und einen Tee, der so stark ist und nach Gewürznelke schmeckt und bei dem einige Erdnüsse ins Glas geworfen werden, leicht gesalzene, bevor man ihn trinkt. Und wir essen auf einem Teller, der mit Couscous grundiert ist, gekochtes Gemüse und dann Fleisch. Und dann Früchte. Nehmt nocht Etwas! Danke, oh, wir sind satt. Aber es hat wunderbar geschmeckt.
Ruthy heisst die Schwester. Udi und Reuven die Brüder. Die Eltern von Eva sind alte, gebrechliche Leute. Malca heisst ihre Mutter. Sie schaut uns freundlich beim Essen zu, manchmal fragt sie etwas, auf hebräisch, denke ich, und die Frage wird übersetzt und wir antworten. Der Vater, Shalom, sitzt so am Tisch dass er den Raum überschauen kann. Aber seine Augen zeigen, dass er nicht mehr viel sieht. Doch: Es ist Besuch da. Und Birkes Spanisch und sein Italienisch, dass er in der Schule in Libyen gelernt hat erlauben den Austausch einiger Worte. Immer wenn sie wieder ein Wort gefunden haben das beide verstehen lacht er.
Ich wusste nichts über die Geschichte der jüdischen Menschen aus Libyen. Jetzt ist sie mir nah.
Im Garten dann, mit Eva am Tisch, bereden wir Projekte. Kann ein internationales Projekt mit Jugendlichen auf Basis sportlicher Themen erarbeitet werden? Telefonnummern tauschen wir aus. Es könnte etwas werden, ja. Hoffentlich. Das da, sagt Eva, dieser Teil des Hauses war der erste, den meine Eltern erbaut haben. Dann dieser andere, großzügiger und moderner. Und das, sagt sie, ist unser Bunker. Our Shelter. Wenn Raketen aus Gaza kommen sollen sie bei Alarm in 10 Sekunden im Bunker sein. Have the people at the other side also shelters, frage ich. Hätte ich das nicht fragen sollen? Eva schweigt.
Das Israel Goldstein Youth Village unterstützt jüdische Kinder aus aller Welt. Die Einrichtung ist offen, vorbildlich geführt, jedenfalls so weit ich das einschätzen kann. Eine zionistische Mustereinrichtung. We Jews are always moved by this question: how can we survive. Sagt Eva etwas später.
Slava fährt uns zum Meer, danach, zeigt uns die himmelhohen neuen Gebäude, eine Skyline des Wohlstandes, französische Jüd:innen würden hier in Ferienwohungen investieren. Sagt Slava. Oder sind es Wohnungen als Lebensversicherung?
Wir haben eine Stunde zum Baden. Der Strand ist kaum gefüllt, denn für israelische Verhältnisse ist es kalt. Ein paar Grüppchen junger Leute sitzen herum, mit Musik aus der kleinen Box und Tellern mit Früchten auf Decken. Einer sieht meine interessierten Blicke und winkt uns heran, aber unsere Stunde ist schon um. Waren es arabische oder jüdische Leute? Ich kann es nicht unterscheiden. Junge Männer in Badehosen.
Eva holt uns ab und fährt uns nach Hause. Wir sollen unbedingt um 19 Uhr beim Abendbrot sein. Martin sagt auch, warum: Weil Shabat ist singen einige der Schüler:innen und ein Rabbi hält eine Andacht.
Aber vorher gibt es eine Überraschung: Die heimlich vorbereitete Torte wird hervorgeholt, 250 Kinder und Jugendliche klatschen Beifall und nun wissen es alle: Eva hat Geburtstag.
Inmitten dieser vielen hoffnungsvollen Jugendlichen bin ich in meinen Gedanken immer noch unterwegs, in Sde Uziyahu, und auch in Yad Vashem, da wo wir gestern waren.