Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich den Weggang von Sahra Wagenknecht aus der Linken für ein großes Unglück hielt. Viele ihrer innerparteilich geäußerten Positionen konnte ich gut nachvollziehen. Manche inhaltlich, viele auch nur taktisch. Und dass sie, was den Erfolg bei Wahlen angeht, offensichtlich Recht hatte ist ja nun gut zu sehen.
Ich will am Tag der Landtagswahlen 2024 in Sachsen und Thüringen und vor der Bekanntgabe von Wahlergebnissen, bei denen der Abstieg der Linken erneut festgestellt werden wird, hier aufschreiben warum ich dennoch nicht zum Bündnis Sahra Wagenknecht gewechselt bin. Was hält mich, noch, bei meiner Partei?
Nein, es sind nicht die ewig selbstbesäuselnd vorgetragenen Mantren, eine Linke werde gerade jetzt gebraucht. Wobei es möglich ist, dass eine Linke gebraucht wird. Aber nach Wähler:innenmeinung offensichtlich nicht diese. Und nein, es sind auch nicht die überzeugenden Kandidierenden auf unserer sächsischen Landesliste. Ich habe mit Entsetzen und Belustigung gleichzeitig einem Listenaufstellungsverfahren zugeschaut, in dem nach allen Regeln der innerparteilichen Machtausübung gekämpft wurde, wer etwas vom Kuchen abbekäme. Die Frage, ob wir überhaupt etwas zu verteilen haben, wie eventuell eine Landesliste einen Beitrag dazu leisten könnte, hatte auf die Aufstellung selbst keinen Einfluss.
Und nein, es sind auch nicht unsere Themen, die wir in Wahlprogrammen darlegen. Eigentlich bin ich ein Freund des grundlegenden demokratischen Vorgangs einer Wahlprogrammaufstellung. Wie schön wäre: Starke, in der Öffentlichkeit bekannte Personen setzen sich in Parlamenten dafür ein, die in den Diskussionen in der Partei hart errungenen und in Programmen aufgestellten Ziele umzusetzen. Und gleichzeitig für Fragen der Zukunft, die beim Erarbeiten von Programmen nicht bekannt waren, Lösungen zu suchen, die der Partei und, damit und dadurch, den uns Wählenden entsprechen. Und die Partei verteidigt ihre Ziele und bindet die starken Persönlichkeiten ein, damit sie nicht selbstherrlich werden in den luftigen Höhen der Parlamentstürme. Allein: Es ist eben nicht so.
Nun, wahr ist, dass ich nicht allwissend und allkönnend bin und meine Kraft und damit auch mein Interesse an innerparteilicher Mitwirkung selten geringer waren als jetzt. Und zwar nicht deshalb, weil es der Linken gerade schlecht geht, sondern weil es ihr, so meine ich, zu Recht schlecht geht und ich das nicht ändern kann.
Warum also dennoch und immer noch die Linke?
Da sind zum einen die Menschen, die immer noch oder gerade jetzt oder auch aus Pflichtbewusstsein heraus Hoffnung für diese Partei haben. Sie hängen Plakate auf, sie laufen durch die Straßen und verteilen Flyer, sie stehen an Ständen und versuchen nach Kräften, sich dem weiter oben in der Partei verursachten Niedergang entgegenzustemmen. Vielleicht, wenn es kaum noch ein „weiter oben“ mehr gibt werden sie sich zusammentun und grübeln, woran es lag. Vielleicht kommen sie darauf, dass es nicht sinnvoll ist, ernsthaft um die Lage der im Land besorgten Menschen in einem aufgeblasenen Einhornkostüm zu begegnen. Jedenfalls nicht, wenn man Stimmen gewinnen will. Und vielleicht schaffen sie es, den selbstgefälligen Filz, der sich da gebildet hat als wir noch 20% der Menschen in Sachsen ansprachen und der weiter über uns lag, als es nur noch 10% waren und der weiter da bleiben wird, wenn es nun 4% und zwei Direktmandate werden sollten, vielleicht schaffen sie es, diesen Filz aufzulösen. Bestimmt schaffen sie es, wenn wir gar nicht mehr im Landtag sind und es nichts mehr gibt, wovon sich dieser Filz ernähren könnte.
Zum anderen ist es die Geschichte. Tatsächlich. Die Geschichte.
Als ich mich nach langer Zeit des Mitmachens und Mitkämpfens endlich entschloss, in die PDS einzutreten, tat ich dies, so wie es die Satzung vorgab, in einer Basisgruppe. Üblich war damals, sich die Unterschrift irgendeines Parteiprominenten auf den Mitgliedsausweis zu holen. Ich holte mir die Unterschrift des Genossen Fischbach, der ansonsten die Einladungszettel zu Versammlungen in die Briefkästen der Mitglieder steckte. Manchmal, als Erinnerung an ihn, denke ich, kurz vor dem Aufschließen meines Briefkastens: „Mal sehen ob der Genosse Fischbach da war!“. Er kommt natürlich nicht mehr, er ist schon längst gestorben.
In dem Moment, in dem er meinen Mitgliedsausweis unterzeichnete, einer der wenigen, die den historischen Bruch in der Parteigeschichte von der absoluten Macht zur absoluten Opposition miterlebt hatte und dennoch nicht wie 90% der anderen davongelaufen war, wusste ich, dass ich nun Teil einer sehr langen Geschichte werde. Teil einer Geschichte von großen, zutiefst humanistischen Ideen, gespeist aus der Erfahrung realer schrecklicher Not und Ausbeutung, einer Geschichte großer Siege und ebenso großer Verbrechen, einer Geschichte vom Aufbauen, vom Verwalten, vom Scheitern. Seit über 40 Jahren bin ich Teil dieser Geschichte, denn das Ende der DDR gehört dazu. Ich habe mir mühsam, Schritt für Schritt, staunend und erschrocken, diese Geschichte angeeignet. Habe versucht, zu erwerben, was die politischen Väter mir vererbt haben, damit ich es besitzen kann als Erfahrungs- und Wissensschatz. Habe ebenso versucht, diese Geschichte fortzuschreiben, dort, wo ich konnte. Allein die Lehre, dass moralischer Überlegenheitswahn gepaart mit absoluter Macht und der Bereitschaft, bedingungslos zu folgen direkt ins Verbrechen führt ist es doch wert, in der Erinnerung einer Organisation fortgeführt zu werden und Handlungen zu leiten.
Das also hält mich noch bei der Linken: Die Hoffnung, dass das Wissen um die Vergangenheit auf der einen Seite und der Mut auf Zukunft auf der anderen sich wieder verbinden mögen und mich diese Verbindung dann umhüllt, so dass mir meine Partei wieder heimatlich erscheint.